7.5 Landschaftsbild, Landschaftserleben (Vielfalt, Eigenart, Schönheit)

7.5.1 Grundlagen

Gesetzlicher Auftrag für Naturschutz und Landschaftspflege
Mit § 1 BNatSchG ist das Ziel, die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft zu erhalten, gleichrangig neben den Schutz der Bestandteile des Naturhaushaltes - Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenarten - gestellt.Der Gesetzgeber hat dem Schutzgut Landschaftsbild somit einen hohen Stellenwert im Naturschutzrecht zuerkannt.
Die Erhaltungsforderung begründet sich auf dem Bedürfnis des Menschen nach Erholung in einer als schön empfundenen Landschaft. "Am Anfang der Naturschutzbewegung stand die Freude der Menschen an der Schönheit einer Landschaft und einzelner Naturerscheinungen" (FISCHER-HÜFTLE 1997, S. 239). Die Aufgabe, Vielfalt, Eigenart und Schönheit zu erhalten, ist demzufolge gesellschaftlicher Ausdruck einer emotional-ästhetischen Betrachtungsweise von Natur und Landschaft. Sie fand bereits Anfang des 20. Jahrhunderts rechtliche Verankerung und führte zu den ersten Schutzgebietsausweisungen, z.B. Drachenfels im Siebengebirge und Lüneburger Heide (vgl. u.a. GASSNER 1989, ERZ 1980, JESSEL 1993).
Damals wie heute ist es ein zentrales Anliegen des Naturschutzes, Landschaften und ihr charakteristisches Erscheinungsbild zu erhalten, zu pflegen und sie vor zerstörerischen Eingriffen durch den Menschen zu schützen. Angesichts immer schneller fortschreitender Veränderungen in unserer Zeit ist die Beschäftigung mit dem Landschaftsbild kein Selbstzweck, sondern bildet eine unverzichtbare planerische Grundlage für zukunftsorientierte, verantwortungsvolle Entscheidungen, die die Kulturlandschaft neu gestalten. Das Vorhandensein und die Kontinuität raumzeitlich stabiler Strukturen und Traditionen in Siedlung und Landschaft bilden wesentliche Voraussetzungen für die gefühlsmäßige Sicherheit, Orientierung und Identifikation ihrer Bewohner. Der Erhalt der für das emotional-ästhetische Erleben maßgeblichen Landschaftsqualitäten ist deshalb in der Rechtsprechung als "wichtiger Gemeinwohlbelang" anerkannt (FISCHER-HÜFTLE 1997, S. 239).

Die gesetzliche Aufgabe, Vielfalt, Eigenart und Schönheit zu sichern, erhält mit den in § 2 BNatSchG formulierten Grundsätzen (insb. Nrn. 2, 11, 12, 13) und mit den weiterführenden Vorschriften zu den naturschutzrechtlichen Instrumenten der Landschaftsplanung, der Eingriffsregelung (§ 8 BNatSchG - Schutzgut Landschaftsbild) und dem Flächenschutz (§§ 13-18 BNatSchG - Landschaftsbild als Schutzgrund) weitere Unterstützung.
Die Pflicht zu einer flächendeckenden Darstellung des Zustandes des Landschaftsbildes und der geeigneten Maßnahmen zu Schutz, Pflege und Entwicklung obliegt der Landschaftsplanung und ihren Planwerken auf den verschiedenen Planungsebenen (vgl. §§ 5[40], 6 BNatSchG; § 3 HENatG)( vgl. Kap. 2, Teil 1).
Im Raumordnungsgesetz § 2 Abs. 2 Nr. 10 wird der Grundsatz formuliert:
"Es sind die räumlichen Vorraussetzungen dafür zu schaffen oder zu sichern, daß die Landwirtschaft als bäuerlich strukturierter, leistungsfähiger Wirtschaftszweig sich dem Wettbewerb entsprechend entwickeln kann und gemeinsam mit einer leistungsfähigen, nachhaltigen Forstwirtschaft dazu beiträgt, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sowie Natur und Landschaft zu pflegen und zu gestalten".
Nachfolgend auszugsweise zitierte Vorschriften des Hessischen Naturschutzgesetzes (i.d.F. vom 16.April 1996) sind dem umfassenden Schutz der Kulturlandschaften, der ausdrücklich ein zentrales Ziel des Gesetzes darstellt, und ihrer Vielfalt, Eigenart und Schönheit bzw. der Erholungsvorsorge gewidmet. Auch andere Nutzungen, insbesondere die Land- und Forstwirtschaft sind dazu aufgefordert, ihren Beitrag zur Erhaltung des Landschaftsbildes zu leisten:

  • § 1 Abs. 2 Nr. 1 "Die Kulturlandschaften des Landes sind in ihrer Vielgestaltigkeit zu erhalten und ihren naturräumlichen Eigenarten entsprechend zu entwickeln und zu gestalten; dazu gehört eine natur- und umweltverträgliche Land- und Forstwirtschaft."
  • § 1 Abs. 2 Nr. 4 "Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen sowie Siedlungen und Bauten werden im Rahmen ihrer Zweckbestimmung so geplant und gestaltet, daß sie möglichst wenig Fläche außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile in Anspruch nehmen und insbesondere die Lebensräume und Wanderwege von Tieren sowie die Gestalt und Nutzung der Landschaft möglichst wenig beeinträchtigen."
  • § 2a Abs. 1 "Umwelt- und naturverträgliche Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft leisten einen wichtigen Beitrag für die Erhaltung der Kulturlandschaft in Hessen. (...) Ein angemessener Teil der land-, forst- und fischereiwirtschaftlich genutzten Flächen soll als Lebensraum und Vernetzungsfläche bereitgestellt werden; dies gilt insbesondere für die Uferbereiche der Gewässer, Waldlichtungen, Waldränder sowie Acker- und Wegraine."
  • § 3 Abs. 2 In den Landschaftsplänen und Landschaftsrahmenplänen sind "Gebiete mit besonderer Bedeutung für Naturschutz und Landschaftspflege (..) darzustellen; dies sind insbesondere Flächen, (...)
     
    1. die aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege nur mit Einschränkungen zu bewirtschaften oder bei denen besondere Formen der Pflege oder der Bewirtschaftung sicherzustellen sind; (...)
    2. die in besonderem Maße der Erholung oder der Freizeitnutzung dienen oder die für diese Zwecke entwickelt werden sollen;
    3. die aus klimatischen oder aus landschaftsgestalterischen Gründen von nicht standortgebundenen baulichen Anlagen freizuhalten sind;
    4. die innerhalb von besiedelten Gebieten wegen ihrer besonderen Lage, Größe, Schönheit oder Funktion für den Naturhaushalt, für das Orts- und Landschaftsbild oder für die Naherholung zu schützen und zu entwickeln sind; "
       
  •  § 3 Abs. 3 "Die Darstellung des Zustandes von Natur und Landschaft nach Abs. 2 muß das Landschaftsbild, den Boden, das Kleinklima und die vorhandene Vegetation, insbesondere die Lebensräume und Landschaftsbestandteile nach § 23, umfassen und für die Planung bedeutsame Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Bestandteilen des Naturhaushaltes aufzeigen."
  • § 5 Abs. 1 "Eingriffe in Natur und Landschaft sind Veränderungen der Gestalt oder der Nutzung von Grundflächen, durch die der Naturhaushalt, die Lebensbedingungen der Tier- und Pflanzenwelt sowie das Landschaftsbild, der Erholungswert oder das örtliche Klima erheblich oder nachhaltig beeinträchtigt werden können."
  • § 9 "Die Gemeinden können anordnen, daß nicht bewirtschaftete Grundstücke so gepflegt werden, daß im besiedelten Bereich das Ortsbild und das örtliche Klima und im Außenbereich der Naturhaushalt und das Landschaftsbild nicht wesentlich beeinträchtigt werden und der Erholungswert für die Bevölkerung erhalten bleibt."
  • § 12 Abs. 1 "Naturschutzgebiete sind rechtsverbindlich festgesetzte Gebiete, in denen ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft in ihrer Ganzheit oder in einzelnen Teilen (...) wegen ihrer Seltenheit, besonderen Eigenart oder hervorragenden Schönheit erforderlich ist."
  • § 13 Abs. 1 "Landschaftsschutzgebiete sind rechtsverbindlich festgesetzte Gebiete, in denen ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft (...) wegen der Vielfalt, Eigenart oder Schönheit des Landschaftsbildes, (..) wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung erforderlich ist."
  • § 14 Abs. 1 "Naturdenkmale sind rechtsverbindlich festgesetzte Einzelschöpfungen der Natur, deren besonderer Schutz (...) wegen ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit (...) erforderlich ist."
  • § 15 Abs. 1 "Geschützte Landschaftsbestandteile sind rechtsverbindlich festgesetzte Teile von Natur und Landschaft, deren besonderer Schutz (...) zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes (...) erforderlich ist."
  • § 15a Abs. 1 "Nationalparke sind einheitlich zu schützende Gebiete, die (..) großräumig und von besonderer Eigenart sind."

Planerische Vorgaben durch die "Vorläufige Arbeitsanleitung zur Aufstellung des Landschaftsrahmenplans" vom 25.06.1996
In dem Erlaß vom 25.06.1996 des Hessischen Ministeriums des Innern für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz (HMILFN) werden die Mindestanforderungen an die Inhalte und Plandarstellungen des Landschaftsrahmenplans nach § 3 HENatG festgelegt. Die Bearbeitung der Aspekte Landschaftsbild, Landschaftserleben undErholungswert der Landschaft werden sowohl in der Bestandsaufnahme (Teil 1) als auch in der Planung (Teil 2) gefordert.
Gemäß Arbeitsanleitung ist außerdem ein naturraumbezogenes Leitbild zu entwickeln. Die Ergebnisse, d.h. zum einen die regional bedeutsamen Merkmale des Landschaftsbildes und zum anderen die geplanten Maßnahmen und Erfordernisse zur Verbesserung des Landschaftsbildes und des Erholungswertes, sind in der Bestandskarte und in der Entwicklungskarte im Maßstab 1: 100 000 darzustellen.
Das methodische Vorgehen zur Erfassung des Landschaftsbildes wird in Kap. 7.5.2, Teil 1 erläutert, die Planungsaussagen in Kap. 2.5, Teil 2. Die für das Landschaftsbild relevanten Leitziele werden in den allgemeinen und naturraumbezogenen Zielaussagen (Kap. 1, Teil 2) formuliert.

Begriffsverständnis und Definitionen
Der naturschutzrechtliche Begriff Landschaftsbildsteht synonym für die vom Gesetzgeber genannten Aspekte Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft.
Er umfaßt über die Wahrnehmung der tatsächlich vorhandenen, landschaftsprägenden Elemente hinaus dieWirkung, die das Erscheinungsbild der Landschaft auf den Menschen hat. Durch Wahrnehmung und Bewertung der verschiedenen Landschaftselemente entsteht für den Betrachter ein Landschaftsbild. Dabei werden zwar alle Sinne angesprochen, es sind aber maßgeblich die visuellen Eindrücke, die das Landschaftsbild bestimmen (vgl. OVG Münster Urt. v. 16.1.1997 - 7 A 310/95).
Empirischen Untersuchungen zufolge können die Kriterien Vielfalt, Eigenart und Naturnähezur Ermittlung der Erlebniswirksamkeit von Landschaften herangezogen werden. Der Begriff Schönheit eignet sich aufgrund seiner mangelnden Operationalisierbarkeit nicht (vgl. KIEMSTEDT, SCHARPF 1990; NOHL 1991). Die Schönheit einer Landschaft erfährt der Betrachter durch das charakteristische Zusammenwirken von Vielfalt, Eigenart und Naturnähe.

Auf der Ebene des LRP wird unter Vielfalt die optisch wahrnehmbare Vielgestaltigkeit einer Landschaft verstanden, d.h. ihre Vielfalt an naturraumtypischen Elementen, Strukturen und Nutzungsformen sowie der Wechsel von räumlichen Situationen (Strukturvielfalt).

Im Unterschied dazu wird mit Eigenart der Charakter und die Unverwechselbarkeit einer Landschaft umschrieben und umfaßt auch karge, einförmige Landschaften ohne (Struktur-) Vielfalt (FISCHER-HÜFTLE 1997). Maßgebliche Indikatoren für Eigenart sind die historisch gewachsenen, angepaßten Nutzungsweisen bzw. Landschaftselemente und ihre räumliche Anordnung.

Unter Naturnähe[41] wird der Eindruck weitgehenden Fehlens menschlicher Einflüsse und Nutzungen im Sinne von Intaktheit, Ungestörtheit und Ruhe verstanden. Dabei ist das Vorhandensein von Naturprozessen (z.B. Sukzession, Fließgewässerdynamik) und von Vegetationsstrukturen mit erkennbarer Eigenentwicklung als wichtiger Indikator zu betrachten.
 



[40] § 5 Abs. 1 BNatSchG lautet : "Die überörtlichen Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden für den Bereich eines Landes in Landschaftsprogrammen oder für Teile des Landes in Landschaftsrahmenplänen dargestellt. Dabei sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstige Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen"
[41] Naturnähe nach diesem Verständnis muß nicht zwangsläufig mit Naturnähe im ökologischen Sinne übereinstimmen.

  

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